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4. März 2019
Redaktion

Robotische Systeme für die Pflege

(02/2019) Die Zahl der Pflegebedürftigen wächst. Gleichzeitig kann die Zahl der Pflegekräfte nicht mit dem Bedarf mithalten. Deshalb hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung Mitte November eine Richtlinie zur Förderung von Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet „Robotische Systeme für die Pflege“ veröffentlicht (abrufbar unter: https://bit.ly/2Q90HJA). Sie ist Teil der Hightech-Strategie 2025 der Bundesregierung. Auf der Medica präsentierten Vertreter von BMBF und dem Projektträger VDI/VDE IT sowie drei Forschungsprojekte Hintergründe und erste Projekte. Mit mehr als 50 interessierten Zuhörern stieß das Thema auf breites Interesse.
Foto: Messe Düsseldorf/ctillmann
Foto: Messe Düsseldorf/ctillmann

Gefördert werden Innovationen zur Entlastung von Pflegekräften und pflegenden Angehörigen sowie zur Verbesserung der Lebensqualität Pflegebedürftiger: „Ziel ist es, innovative Forschungs- und Entwicklungsvorhaben der Mensch-Technik-Interaktion zu fördern, welche die Selbstständigkeit und das Wohlbefinden von Pflegebedürftigen stär­ken, Pflege- und Betreuungskräfte sowie Angehörige physisch und psychisch entlasten und einen Beitrag zu einer quali­tätsvollen Pflege leisten.“
Es geht um Forschungsprojekte zur Entwicklung und Erprobung innovativer robotischer Systeme, die auf praxisbezogene Anforderungen der Pflege in konkreten Anwendungsfeldern ausgerichtet sind. Dabei können robotische Systeme von Komponenten wie Roboterarmen bis hin zu humanoiden Robotern reichen. Zu den denkbaren Anwendungsfeldern zählen z. B.: Therapie, Kommunikation und Interaktion, Transport, Transfer und Mobilität, Assistenz oder Begleitung. Gabriele Albrecht-Lohmar vom BMBF verwies darauf, dass im Rahmen des Programms Pflegeinnovationen aktuell insgesamt 45 Projekte mit einer Gesamtsumme von 82 Mio. Euro gefördert werden. Seit 2016/17 sind außerdem 18 Projekte für Roboter mit Assistenzfunktionen im Programm.

Chancen für die Pflege

Maxie Lutze vom Projektträger VDI/VDE IT sieht Chancen im Einsatz von Robotern in der Pflege, die im Pflegesektor spezifisch definierte Rollen und Routinen übernehmen könnten. In Logistik, Transport und Reinigung seien Roboter in einigen Fällen im klinischen Sektor im Einsatz. Bei intelligenten Pflegehilfsmitteln werden z. B. robotische Lifter, die herkömmliche Lifter ersetzen könnten, Exoskelette zur Hebeunterstützung für Pflegekräfte, Lösungen zur Telepräsenz von Angehörigen oder Pflegekräften etwa im häuslichen Umfeld sowie emotionale und Kommunikationsroboter im Hinblick auf ihren Nutzen für die Pflege diskutiert.

Dabei seien viele Projekte noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase. Bei Pflegekräften seien robotische Lösungen in der Pflege noch kaum bekannt. Auf der anderen Seite seien die Betroffenen offen für robotische Unterstützung. Gefördert werden die Entwicklung neuer Systeme für konkrete pflegerische Situationen so­wie die Erprobung existierender Systeme und ihre bedarfsgerechte Weiterentwicklung. Außerdem sollen in einem Begleitprojekt theoretische und praktische Grund­lagen für die Bewertung des Einsatzes robotischer Systeme in der Pflege erarbeitet werden. Weitere Infos unter: www.technik-zum-menschen-bringen.de

Projekt Robina

Seit April 2017 befindet sich das Berliner Projekt Robina bereits in der Förderphase. Bis Ende März 2020 werden bis zu 68 Prozent der Kosten in Höhe von ins­gesamt 2,57 Mio. Euro über Fördermittel des BMBF gedeckt. Es geht um roboterunterstützte Dienste für eine individuelle und ressourcenorientierte Intensiv- und Palliativpflege bei Menschen mit Amyo­tro­pher Lateralsklerose (ALS), einer schwe­ren neurodegenerativen Erkrankung. Das Projekt wird von der Charité wissenschaftlich begleitet. Marius Greuèl vom Verbundkoordinator Pflegewerk Berlin zog in seinem Vortrag eine Halbzeitbilanz.
Konkret umgesetzt wurde ein Demons­trator in Form eines Roboterarms, der mittels acht Gelenken den teilweise ge­lähmten Körper unterstützen kann. Er hat eine Reichweite von bis zu 86 cm, ist über eine App programmierbar und kann intuitiv gesteuert werden. Greuèl benann­te die Ziele von robotischen Pflegeassis­tenzsystemen:

  • Entlastung des schwerkranken Patienten
  • körpernahe und -ferne Aufgaben
  • adaptive und intuitiv steuerbare Anwendung
  • sensible Sensorik
  • hohe Benutzerfreundlichkeit
  • Selbstbestimmung
  • direkte Steuerung des Assistenzroboters

Für Robina wurden insgesamt rund 80 Anforderungen formuliert, z. B. aus den Bereichen Essen, Hygiene und Pflegeunterstützung, Greiffunktion, Kommunikation und Mobilität. Die Bedienung ist auch möglich über Augensteuerung, Lidzucken, Taster, Tastatur, Zunge oder Kiefer.

Frühmobilisation mit Robotik

Wie Frühmobilisation von Intensivpatienten durch adaptive Robotik am Bett (MobIPaR) aussehen kann, stellte Ale­xander König dar. Der Gründer und Geschäftsführer der Firma Reactive Robotics aus München beschrieb das Projektziel der Entwicklung und klinischen Demons­tration von „assist-as-needed“-Strategien und autoadaptiver robotischer Pflege­unterstützung. Eine Frühmobilisierung lasse die Patienten schneller genesen und reduziere die Immobilität, was zu einem geringeren Pflegeaufwand führe.
Dies wird aktuell etwa durch „Bettenfahrräder“ oder Betten erfolgen, die mit dem fixierten Patienten senkrecht gestellt werden können. Es existiere aber aktuell keine Lösung, welche die Vorteile beider Systeme kombiniere. Deswegen hat die Firma Reactive Robo­tics das VEMO-System entwickelt. VEMO steht für Very Early Mobilization (engl. für Frühmobilisierung). Das Sys­tem kombiniert stufenlos einstellbare Vertikalisierung mit robotergestützter Beinbewegungstherapie in einer sicheren Umgebung.

Patienten können im Bett bleiben und müssen nicht auf separate Geräte transferiert werden. Mit dem Sys­tem Vemo könne die Liegezeit auf der Intensivstation um rund ein Fünftel verkürzt werden. Statt drei bis vier Therapeuten bzw. Pflegekräften sei nur noch eine Person notwendig. Dank der robotischen Assistenz reduziere sich somit der Pflegeaufwand um rund 10 Prozent pro Patient.

Exoskelett in der Pflege

Dr. Athanasios Karafillidis von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg gab Informationen zu Smart Assist, einem Projekt, das u. a. an Exoskeletten für die (Alten-)Pflege arbeitet. Exoskelette könnten bei manuellen Tätigkeiten die Arbeit erleichtern. Diese anziehbaren Roboter kommen zum Einsatz in Prävention, Reha­bilitation und Augmentierung, womit das Stärken vorhandener Fähigkeiten, der Mobilität, Unabhängigkeit und des Wohlbefindens gemeint ist.

Diese Exoskelette bewegen sich mit dem Nutzer und können dessen Kraft steigern, ihn stabilisieren und die Ausdauer erhöhen. Sie werden in passive und aktive Produkte sowie je nach körperlicher Unterstützungsregion unterschieden. Robotische Systeme in der Pflege können dem Klienten bzw. Bewohner selber helfen oder Pflegekräfte etwa beim Lagern und Transfer unterstützen.
Für die Altenpflege sollte ein Exoskelett stufenlos an Körperformen anpass­bar sein, den unteren Rücken entlasten und bei starker Belastung unterstützen, bei allen anderen Aktivitäten jedoch nicht stören. In diesem Zusammenhang werden auch vorhandene Systeme erprobt, z. B. eines aus Japan. Laut Karafillidis können sich Exoskelette in der Pflege durchsetzen, wenn weitere Erforschung erfolgt und die Besonderheiten der Pflege berücksichtigt werden.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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