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9. August 2019
Redaktion

Schweizer Kostenberechnung zur MDR

(07/2019) Die produktspezifischen Kosten und Personalaufwendungen für die Medizintechnik-Unternehmen zur Erfüllung der Aufgaben der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) sind groß. Zu groß für manche Unternehmen. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass Produkte ab 26. Mai 2020 nicht mehr verfügbar sein werden. Dies machen konkrete Kostenberechnungen und Folgenabschätzungen einer Studie im Auftrag des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit und des Sekretariats für Wirtschaft deutlich. Die MDR kostet die Schweizer Unternehmen rund 525 Mio. Franken pro Jahr. Doch zur MDR gibt es auch für die eidgenössischen Unternehmen keine Alternative.
Foto: Ray/Fotolia
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Im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit und des Sekretariats für Wirtschaft erstellten das Forschungsinstitut Ecoplan AG in Bern und die Axxos GmbH in Rombach (beide Schweiz) eine knapp 100 Seiten umfassende „Regulierungsfolgenabschätzung zur Revision des Medizinprodukterechts“. Das Ziel lag darin, die Konsequenzen der MDR für die Schweiz abzuschätzen. Die Schweiz übernahm schon bei der alten Medizinprodukte-Richtlinie (MDD) europäisches Recht und hatte dadurch freien Markt­zutritt zur EU. Um diesen Status im EU-Binnenmarkt zu bewahren, möchte die Schweiz auch hinsichtlich der MDR eine äquivalente Rechts­ordnung schaffen.

Die Schweiz hat keine Wahl

Die Studie besagt, dass es für die Schweiz dazu auch keine Alternative gibt. Sie muss Mitglied des europäischen Wirtschaftsraumes bleiben. Zahlen belegen dies: Nach Erhebung des Verbandes Swiss Medtech hatte die Schweiz 2015 rund 1.350 Medizinprodukte-Unternehmen mit 54.500 Beschäftigten. Darunter waren rund 300 Hersteller, 480 Zulieferer, über 200 Handels- und Vertriebsfirmen und 350 Dienstleister. 94 Prozent der Firmen sind kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), 6 Prozent Großunternehmen. Von den 15 Mrd. Franken Umsatz der Hersteller im Jahre 2016 wurden drei Viertel durch das Exportgeschäft erwirtschaftet. Rund die Hälfte des Exports ging 2017 in EU- und EFTA-Staaten. 20 Pro­zent der exportierten Medi­zinprodukte gehen nach Deutschland.
Im Jahr 2017 importierte die Schweiz im Gegen­zug Medizinprodukte im Wert von 5,9 Mrd. Franken, was einem Anteil von 3,2 Prozent an allen Importen entspricht. 57 Prozent der Medizinprodukte-Importe kommen aus EU- und EFTA-Staaten. Allein der Importanteil aus Deutschland liegt bei 25 Prozent, was auch die Wichtigkeit des Schweizer Marktes für die deutschen Hersteller verdeutlicht. Die Studie untersuchte die Auswirkungen der neuen Regulierung durch die MDR für Hersteller und Zulieferer, für die staatliche Überwachung Swissmedic (das Schweizer Pendant zum deutschen BfArM), für die Benannten Stellen, für die Patienten und die Volkswirtschaft.

525 Mio. Franken Kosten für die Hersteller

Nach Ende der Übergangsphase ab 26. Mai 2020 belaufen sich die zusätzlichen Kosten aufgrund der MDR für die 684 Schweizer Hersteller und Zulieferer laut Studie auf rund 525 Mio. Franken pro Jahr. Davon entfallen 175 Mio. Franken auf zusätzliche Personalkosten und 350 Mio. Franken auf zusätzliche produktfamilienspezifische Kosten. Bei den Personalkosten geht es um 1.032 zusätzliche Stellen. Dabei benötigen die 632 KMU 695 zusätzliche Vollzeitfachkräfte mit jährlichen Kosten in Höhe von 108 Mio. Franken; bei den 52 Groß­unternehmen sind es 337 zusätzliche Kräfte mit Kosten in Höhe von 67 Mio. Franken. Doch wegen der starken Bedeutung der EU als Export-Wirtschaftsraum müssen sich die Hersteller auf jeden Fall den Regularien der MDR unterwerfen, unabhängig davon, ob die Schweiz das Regelwerk übernimmt. Die Studie nennt dies „Sowieso-Kosten“.
Neben den Personal-Aufwendungen gibt es auch nach der Übergangsphase noch produktspezifische Aufwendungen. Basierend auf dem ConCeplus-Modell schätzt die Studie zusätzliche produktfamilienspezifische Kosten für eine durchschnittliche Produktfamilie in Höhe von 65.000 Franken pro Jahr. Diese setzen sich folgendermaßen zusammen: Mehrkosten für die Erstinverkehrbringung durch die MDR bei einer aufgrund großer Veränderungen notwendigen Erstzertifizierung alle 15 Jahre in Höhe von 75.000 Franken. Heruntergebrochen auf ein Jahr sind es also 5.000 Franken.

Hinzu kommen klinische Nachweise bei einem angenommenen Produktzyklus von 15 Jahren, in dem aufgrund von Inno­vationen zwei Mal zusätzlich klinische Daten erhoben werden müssen. Hier werden durchschnittliche jährliche Zusatzkosten von 30.000 Franken veranschlagt. Mit 27.000 Franken jährlich wird für die Marktüberwachung gerechnet. Schlussendlich muss eine Produktfamilie alle fünf Jahre rezertifiziert werden, was einen zusätzlichen MDR-Aufwand von 15.000 Franken nach sich zieht, also jährlich durchschnittlich 3.000 Franken.
Unterstellt werden 2.720 Produktfamilien sowohl bei den 632 KMU als auch bei den 52 Großunternehmen. Bei diesen 5.440 Produktfamilien entstehen rechnerisch jährliche Mehrkosten für die insgesamt 684 Unternehmen in Höhe von über 350 Mio. Franken (jeweils 175 Mio. für die KMU und die Großunternehmen). Die nähere Betrachtung verdeutlicht, dass die KMU in Relation zur Unternehmensgröße und zum Portfolio stärker belastet werden als die Großunternehmen.
Die Anzahl der Produktfamilien (jeweils 2.720) multipliziert mit den Kosten pro Produktfamilie (65.000) dividiert durch die Anzahl der Unternehmen (632 KMU bzw. 52 Großfirmen) ergibt neben den grundsätzlichen Personalkosten eine zusätzliche operative, produktspezifische Durchschnittsbelastung von ca. 280.000 Franken für jedes KMU und 3,4 Mio. Franken für jedes Großunternehmen. Insgesamt werden die Schweizer Unter­nehmen nach Ende der Übergangsphase, also wenn die MDR im Regelbetrieb ist, jährlich mit 525 Mio. Franken (175 Mio. Personalkosten, 350 Mio. produktfamilienspezifische Kosten) belastet.
Soweit die Berechnungen für die Zeit nach der Übergangsphase. In der Übergangsphase sind die Hersteller in personeller Hinsicht aber noch mit deutlich höheren Kosten konfrontiert. Nach der Modellschätzung sind in der Übergangsphase sogar 1.870 zusätzliche Vollstellen nötig, damit alle Hersteller und Zulieferer bis zum Ende der Übergangsphase die MDR-Regelungen erfüllen können. Davon entfallen 1.437 auf KMU bis 249 Beschäftigte und 433 auf Großunternehmen ab 250 Beschäftigte. Das würde zusätzliche Personalkosten von jährlich 300 Mio. Franken bedeuten, wovon wiederum 220 Mio. Franken auf KMU und 85 Mio. Franken auf die Großunternehmen entfallen. Die Studie geht davon aus, dass insbesondere viele kleine Unternehmen, deren Aufwand überproportional höher ist als der der großen Unternehmen, diese Kosten nicht tragen können.
Hinsichtlich der gesamten zusätzlichen Kosten durch die Neufassung des europä­ischen Medizinprodukterechts verweist die Studie zudem auf eine Hochrechnung des Schweizer Think Tank ConCeplus vom Oktober 2017. Gemäß dieser Schätzung belaufen sich die Kos­ten für die Umsetzung der MDR und der IVDR bis 2020 in ganz Europa auf rund 18,8 Mrd. US-Dollar, wovon 18,4 Mrd. Dollar bei den Herstellern und Zulieferern anfallen. Think Tank ConCeplus schätzte den zu­sätzlichen Fachkräftebedarf der euro­päischen Medizintechnik-Industrie auf 30.000 Vollzeit-Arbeitskräfte.

Kosten für Swissmedic und Benannte Stellen

Die MDR bringt für die Swissmedic eine intensivere Marktüberwachung mit sich. Der zusätzliche Vollzugsaufwand wird mit 5,3 Mio. Franken pro Jahr veranschlagt. Die zwei in der Schweiz beheimateten Benannten Stellen müssen acht bis neun zusätzliche Vollzeitstellen schaffen. Die internen Mehrkosten für die Einhaltung der neuen Regulierungsvorschriften werden mit jährlich weiteren 200.000 Franken angegeben. Der interne Aufwand für die Erstbenennung beläuft sich auf 500.000 Franken und für die Gebühren der Erstbenennung auf 30.000 Franken. Die Studie geht aber davon aus, dass die Benannten Stellen ihre gesamten zusätzlichen Kosten an die Hersteller weitergeben.

Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft

Laut Studien-Autoren gibt es für die Schweiz keine Alternative zum Anschluss an die MDR. Durch den erleichterten Zugang zum EU-Binnenmarkt kann die Attrak­tivität des Standorts Schweiz für die Medizintechnik innerhalb von Euro­pa beibehalten werden. Aufgrund des zusätzlichen Fachkräftebedarfs ist von einem Beschäftigungszuwachs in der Branche auszugehen. Allerdings wird der Fachkräftemangel verschärft.
Die Studie geht davon aus, dass es wegen einer möglichen Bereinigung der Produktportfolios bei den Herstellern zumindest temporär zu Versorgungsengpässen kommen kann. Klargestellt wird im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung, dass die KMU durch die MDR einen höheren Regulierungsaufwand haben als die Großunternehmen. Die MDR würde sich zudem bremsend auf die Innovationstätigkeit der Branche auswirken. Insgesamt bestehe die Tendenz, dass der Wettbewerb unter weniger Herstellern stattfinden wird und die Marktkonzentration zunimmt.

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Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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