Folgen Sie uns
27. September 2019
Redaktion

Altbekannte Knackpunkte

(09/2019) Besonders unter den Nägeln brennt der Branche u. a. das Thema bislang fehlender Zulassungen von Benannten Stellen im Sinne der Verordnungen.Laut Bundesregierung lagen der Euro­päischen Kommission (Stand 1. Juli 2019) 41 Anträge nach der MDR vor, davon sieben aus Deutschland. Positiv beschieden wurden bislang zwei Anträge nach der MDR (Stand Mitte Juli 2019), davon einer für eine Stelle in Deutschland.

Die restlichen Anträge befänden sich in der Verfahrensbearbeitung. Die Europäische Kommission geht derzeit, basierend auf Erfahrungen, von einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von etwa 13 Monaten aus. Entsprechend ernüchternd bilanziert die Bundesregierung in ihrer Antwort: „Stand und Dauer der Benennungsverfahren sprechen dafür, dass die vor Geltungsbeginn im Mai 2020 vorhandenen Kapazitäten der nach der MDR Benannten Stellen für eine rechtzeitige Zertifizierung nicht ausreichen. Versorgungsengpässe können – Stand heute – nicht ausgeschlossen werden.“ Die Bundesregierung werde sich deshalb mit Nachdruck für eine zeitnahe juris­tisch tragfähige Lösung auf europäischer Ebene einsetzen. Weiteres Unheil sieht die Bundesregierung bei diesem Thema auch im Falle eines ungeregelten Brexits auf deutsche KMU zukommen. Der Grund: Da Benannte Stellen in einem EU-Mitgliedstaat niedergelassen und von einer benennenden Behörde eines Mitgliedstaates benannt werden müssen, verlieren britische Benannte Stellen mit dem Eintritt eines ungeregelten Brexits ihren Status als Benannte Stelle der EU. Dies erfordere dann die Übertragung von Zertifikaten, die von einer Benannten Stelle des Vereinigten Königreichs ausgestellt wurden, auf Benannte Stellen der EU 27. „Die damit einhergehende Bindung von Kapazitäten bei den Benannten Stellen der EU 27 könnte zu einer Verschärfung der ohnehin angespannten Situation bei der Zertifizierung der Produkte führen“, so die Bundesregierung.

Fußangel Verlängerungsoption

Die Regelung nach Art. 120 Abs. 3 MDR bietet die Möglichkeit, nach Geltungsbeginn der Verordnung unter bestimmten Bedingungen richtlinienkonforme Produkte bis max. Mai 2024 auf der Basis alter Richtlinien-Bescheinigungen weiterhin in Verkehr zu bringen. Produkte, für die die Beteiligung einer Benannten Stelle am Konformitätsverfahren erstmals unter der MDR erforderlich wird, können mangels Richtlinien-Bescheinigung von dieser Regelung aber keinen Gebrauch machen. Darauf verweist die Bundesregierung in ihrer Antwort. Dies betreffe vor allem

  • höherklassifizierte Klasse-I-Produkte (z. B. Software, stoffliche, d. h. arzneimittelähnliche
  • Medizinprodukte, Nano­material enthaltende Medizinprodukte) und
  • zukünftige Klasse-Ir-Produkte (wieder­verwendbare chirurgische Instrumente).

Für diese Produktgruppen müssten die Hersteller daher ab Geltungsbeginn der MDR eine MDR-Bescheinigung vorweisen können, um ihre Produkte in Verkehr bringen zu dürfen.
Letzter Joker: Verlängerung der Übergangsfristen In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP-BT-Fraktion verweist die Bundesregierung darauf, dass Deutschland zusammen mit Irland am 14. Juni in Luxem­burg (EPSCO-Rat) eine politische Diskussion angestoßen habe. So habe Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gefordert, den Anwendungsbereich der Übergangsregelung gem. Art. 120 Abs. 3 MDR auf höherklassifizierte Klasse-I-Produkte und künftige Klasse-Ir-Produkte auszudehnen. Damit gelte für diese Produkte dann die gleiche Rechtslage wie auch für die nach alter Rechtslage zertifizierten Produkte. Mehrere Mitgliedstaaten hätten die Forderung nach einer zeitnahen Lösung auf europäischer Ebene grundsätzlich unterstützt.Gleichzeitig stehe Deutschland im Aus­tausch mit den Mitgliedstaaten, um sich gemeinsam für eine juristisch tragfähige und auf europäischer Ebene praktisch um­setzbare Lösung einzusetzen. Im Nachgang des EPSCO-Rates habe Spahn seine Forderung in einem Schreiben gegen­über der Europäischen Kommission bekräftigt. Er habe an die Kommission appelliert, die Schwierigkeiten bei der Implementierung der MDR/IVDR zu analysieren sowie eine Lösung auf euro­päischer Ebene herbeizuführen und die entsprechend nötigen Maßnahmen schnellstmöglich zu ergreifen.

MDR und die Folgen

Fieberhafte Suche nach LösungenWenige Monate vor Geltungsbeginn der europäischen MDR-Verordnung für Medizinprodukte herrscht auf (verbands)politischer Ebene hektische Betriebsamkeit.

Sonderzulassung für bestimmte Produkte?

Weil Baden-Württemberg als Bundesland mit zahlreichen Herstellern stark betroffen ist, setzte sich die Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut am 12. Juli in Brüssel für Sonderregelungen für die Branche ein. Gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“ berichtete sie, dass ein Vorschlag der EU-Kommission vorsieht, dass EU-Mitgliedstaaten Sonderzulassungen für bestimmte Produkte erlassen könnten, die von den Zertifizierungsproblemen betroffen seien. So könnten Engpässe bei der Versorgung mit Medizinprodukten vermieden werden. Dieser Weg sei juristisch schneller gangbar als eine Verlängerung der Übergangsfrist, der im Rahmen einer Gesetzesänderung EU-Parlament und Rat zustimmen müssten.Die EU-Kommission erwarte zudem, dass bis Ende des Jahres 20 Benannte Stellen akkreditiert sein werden, davon könnten zwei in Deutschland sein. Das reicht aber nach Ansicht der Ministerin nicht aus, „um alle Medizinprodukte rechtzeitig zu zertifizieren“. Nationale Sonderzulassungen könnte es deshalb vor allem für Produkte geben, die erstmals zertifiziert werden müssten oder in eine strengere Klasse eingestuft würden.Es dürfe allerdings nicht zu einem „Flickenteppich an nationalen Regelungen“ kommen. Hoffmeister-Kraut betonte erneut, dass durch die MDR nicht nur viele Arbeitsplätze, sondern ganze Unternehmen gefährdet seien.

Ausnahmen beim Konformitätsbewertungsverfahren?

Die Tuttlinger Brancheninitiative MedicalMountains verwies Mitte Juli auf einen möglichen Ausweg aus dem MDR-Dilem­ma für die Zulassung von Produkten der Klasse Ir. Artikel 59 der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte könnte einen drohenden Engpass bei wiederverwendbaren chirurgischen Instrumenten der Produktklasse Ir vermeiden. Der Artikel besagt, dass nationale Behörden das Inverkehrbringen eines Medizinprodukts auf ihrem Hoheitsgebiet auch ohne vorheriges Konformitätsbewertungsverfahren beantragen können, wenn „dessen Verwendung […] im Interesse der öffentlichen Gesundheit oder der Patientensicherheit oder -gesundheit“ liege. Für Klasse-Ir-Produkte sei das Interesse mehr als gegeben, findet Julia Steckeler, Geschäftsführerin von MedicalMountains. Denn eine Vielzahl an Eingriffen und damit auch an Patienten sei betroffen. Es sei angesichts des derzeitigen Mangels an Benannten Stellen unwahrscheinlich, dass bis Mai 2020 alle eingereichten Akten abgearbeitet werden können. Eine Fristverlängerung sei dagegen unwahrscheinlich, denn dafür müsste das Gesetzespaket aufgeschnürt und erneut die Zustimmung aller Mitgliedsländer eingeholt werden.
Artikel 59 der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte im Wortlaut:„Ausnahme von den Konformitätsbewertungsverfahren

Abweichend von Artikel 52 [Anm.: Konformitätsbewertungsverfahren] kann jede zuständige Behörde auf ordnungsgemäß begründeten Antrag im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme eines spezifischen Produkts genehmigen, bei dem die Verfahren gemäß dem genannten Artikel nicht durchgeführt wurden, dessen Verwendung jedoch im Interesse der öffentlichen Gesundheit oder der Patientensicherheit oder -gesundheit liegt.
Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kom­mission und die übrigen Mitgliedstaaten von jeder Entscheidung zum Inverkehrbringen oder zur Inbetriebnah­me eines Produkts gemäß Absatz 1, sofern eine solche Genehmigung nicht nur für die Verwendung durch einen einzigen Patienten erteilt wurde.
Im Anschluss an eine Unterrichtung gemäß Absatz 2 des vorliegenden Arti­kels kann die Kommission in Ausnahmefällen im Zusammenhang mit der öffentlichen Gesundheit oder der Patientensicherheit oder -gesundheit eine von einem Mitgliedstaat gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels erteilte Genehmigung im Wege von Durchführungsrechtsakten für einen begrenzten Zeitraum auf das gesamte Gebiet der Union ausweiten und die Bedingungen festlegen, unter denen das Produkt in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden darf. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 114 Absatz 3 genannten Prüfverfahren erlassen.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
Person
Zurück
Speichern
Nach oben