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19. Juli 2017
Redaktion

Münchner Klinik Seminar – Einkaufsorganisationen im Wandel

(MTD 06/2017) Ein bunter Reigen an Themen wurde im Februar beim 18. Münchner Klinik Seminar diskutiert. Veranstalter der Traditionstagung ist das Ad Rem Team München unter Leitung von Max Joachim Klinger. MTDialog berichtet über die Vorträge mit Relevanz für die Lieferanten.
Münchner
Foto: farland9/Fotolia
Foto: farland9/Fotolia

Bei den aktuellen Entwicklungen beim Krankenhaus-Einkauf standen vor allem die Funktionen der Einkaufsorganisationen im Fokus.

Vom Besteller zum Verbrauchsmanager

Sebastian Reich von der P.E.G. Einkaufs- und Betriebsgenossenschaft eG erörterte die Entwicklung vom reaktiven zum proaktiven Beschaffungsmanagement, sprich vom Bestellabwickler hin zum Einkaufs­manager mit Verbrauchssteuerung. Ein wichtiger Baustein dafür sei das Einkaufscontrolling. Voraussetzung seien professionelle IT-Systeme, die Datenmanagement und -analytik, Warengruppen-Klassifikationen, Verbrauchsstatistiken und ABC-Analysen ermöglichen. Wichtig seien regelmäßiges Benchmarking der InEK-Sachkosten und Deckungsbetragsrechnungen. Das Ziel liege in einem Kennzahlensystem mit Materialquoten, einer Sachkosten-Betrachtung zu Bewertungsrelationen und einem Monitoring der Verbrauchsentwicklung.
Der Einkäufer darf nach Reich aber nicht nur Zahlen sehen, sondern muss ein Verständnis für die Produkte entwickeln. Es gehe um Artikel-Klassifizierungen, Analyse von Versorgungspreisen/Fallpreisen, Produkteinsatzverhalten und InEK-Benchmarking. Beispiel: Liege der Versorgungspreis einer Primär-Hüfte brutto bei 1.369,49 Euro, ist bei einem InEK-Kostenanteil in der DRG 147B 2016 von 1.279,74 Euro eine Überdeckung von 89,75 Euro vorhanden. Um dies zu optimieren, sollte man das Markt­angebot an unterschiedlichen Produkten und die Preise eruieren. An verschiedenen Versorgungsbeispielen mit alternativen Produkteinsätzen verdeutlichte Reich die Gratwanderung zwischen Unter- und Überdeckung.
Reich verwies darauf, dass sich die Kos­tenproblematik für Medizinprodukte durch das Krankenhausstrukturgesetz weiter verschärft. In der DRG-Kalkulation wird der Sachkosten-Anteil reduziert.
Dagegen werden die Personalkos­ten-Anteile erhöht. „Die Absenkung der Sachkosten-Bewertung wird in den nächs­ten Jahren noch zunehmen“, unterstellte Reich, „dadurch werden Kliniken mit viel Sachkosten weniger Erlöse haben.“ Wichtig sei deshalb die Nutzung von Benchmark-Daten wie die öffentlich zugäng­liche InEK-Kostenmatrix/DRG-Report-Browser.
Hinsichtlich der Produktpreise gestand Reich auf Rückfrage aus dem Publikum aber folgenden Teufelskreis ein: „Je geringer die Preise werden, desto geringer werden auch die DRG-Erlöse aufgrund der immer restriktiveren Sachkosten-Bewer­tung.“ Nicht nur aus diesem Grund sollte die Verbrauchssteuerung wichtiger als die reine Preisbetrachtung sein. 60 Pro­zent der Wirtschaftlichkeit seien geprägt durch einen indikationsgerechten, anwenderkonformen Produkteinsatz. Deshalb sollte der Einkäufer auf das Verbrauchsverhalten durch Produkt-Umstel­lung und effizienten Materialeinsatz Einfluss nehmen.
Verbrauchssteuerung heißt, von der Bestellabwicklung zum aktiven Verbrauchsmanagement zu kommen. Vor­aussetzungen dafür sind laut Reich neben dem Datenmanagement und dem Einkaufscontrolling ein intensiver und kontinuierlicher Dialog zwischen Geschäftsführung, Medizin, Pflege und Einkauf. Wichtige Bausteine seien zudem strategische Partnerschaften mit den Lieferanten. Stichworte hierfür sind: Sys­tem­lieferan­ten mit einem breiten Produktportfolio, Unterstützung bei der Verbrauchssteuerung und bei der indikationsbezogenen Qualitätsdefinition sowie die Entwicklung innovativer Synergien beim Pro­zessmanagement, Marketing, Zuweiser-Management usw.
Und welche Rolle hat die Einkaufsgemeinschaft? Die reine Konzentration auf den Einkauf von Produkten sei passé. Bieten sollten Einkaufsgemeinschaften vielmehr eine fachliche Unterstützung rund um die Produkte und den Produkt­einsatz, eine externe Moderation zwischen den Berufsgruppen, eine begleitende Verbrauchssteuerung durch Lieferanten- und Produktauswahl, Konditionen und Vertragsmanagement, eine Harmonisierung medizinischer und ökonomischer Interessen sowie Aus- und Weiterbildung.

Neue Organisationsformen bei Ameos für Kostenreduzierungen

Die Transformation des Einkaufs als Basis einer erfolgreichen Unternehmensstrategie für Kliniken schrieb sich Frank Schönrath, Leiter Einkauf & Logistik bei der Krankenhaus-Gruppe Ameos, auf die Fahnen. Auch für Schönrath ist die interne Kommunikation mit den regionalen Einrichtungen der Gruppe unerlässlich, um auch die Steigerungen der medizinischen Sachkosten in den Griff zu bekommen. Nicht mehr ganz aktuell war die von ihm genannte Steigerungsrate bei den Ausgaben für den medizinischen Bedarf zwischen 2002 und 2012 in Höhe von 59 Prozent, wobei er sich auf eine Studie von Roland Berger berief. Schuld an dieser Steigerung seien aber nicht die Produktpreise, sondern vor allem die Zu­nahme im Verbrauch.
Nach Schönrath gibt es zwischen Krankenhäusern und Industrie keine gleich langen Spieße. Die Krankenhäuser sieht er überrollt von einer Armada von Indus­trievertretern, die auf den Produkteverbrauch einwirken. Bei einer „Indus­triestreitmacht“ von mehr als 30.000 Vertretern in Deutschland, Österreich und in der Schweiz mit einem Jahresetat von 7 Mrd. Euro, die zudem in der „Allianz“ mit 150.000 Ärzten stünden, hätten die ca. 750 Krankenhaus-Einkäufer „keine Chance, bei ca. 700.000 Produkten den Überblick zu behalten“. Heruntergebrochen auf Deutschland nannte der Ameos-Einkäufer folgende Zahlen: 25.000 Phar­ma- und Marketingmitarbeiter, 4 Mrd. Euro Marketing- und Vertriebsetat und circa 200 Besuche pro Klinik und Jahr. Kurz­um, Schönrath beklagte ungleiche Machtverhältnisse zwischen Vertrieb und Einkauf. Immerhin: Wo Geld für Marketing da ist, gebe es auch Chancen-Potenziale für den Einkauf, wobei er wohl die Preisverhandlungen im Auge hatte.
Um den Einkauf effizienter zu machen, müsste man aber auch in ihn investieren. Nach Schönrath könnte ein investierter Euro letztlich 9 Euro Rückfluss durch Nutzung folgender Potenziale bringen: Serviceorientierung erhöhen (20 % besser), Strukturen optimieren (Bestandsreduktion um 15–20 %), Verbesserung der Vernetzung des Einkaufs, Ideen und Inno­vationen managen, proaktives Einkaufen mit 3 bis 8 Prozent Kostenreduk­tion, Markt­steuerung nach den eigenen Bedürf­nissen sowie Automatisierung der Beschaffungsprozesse mit einer Reduk­tion der Durchlaufzeiten um 15 bis 30 Prozent. Wie diese Zahlen zustande kommen, verriet er allerdings nicht.
Schönrath stellte fünf Evolutionsstufen des Beschaffungsmanagements von der reinen Verwaltung und Abwicklung des Einkaufs bis hin zum „Best in Class“ vor. Die Aufgaben der Vergangenheit vom reinen Auftragnehmer bei der Beschaffung werden in dem Fünfstufen-Modell ergänzt durch die Realisierung von Preissenkungen, die Standardisierung, die Optimierung und Verschlankung von Prozessen, strukturelle Anpassungen, Höherqualifizierungen, Controlling, Aufbau strategischer Partnerschaften, Lieferanten-Integration in Forschung und Lehre bis hin zur Einkaufskooperation und einem Global Sourcing. Der Lohn für die Krankenhäuser: Steigerung der Kos­teneffizienz von mehr als 10 Prozent in zwei Jahren.
Bei Ameos sei der Einkauf konkret nach Regionen, Waren und medizinischen Fachgruppen organisiert. Bei den medizinischen Fachgruppen seien immer Vorstände und die jeweiligen Chefärzte dabei. Je nach Thema würden die strategischen Partner eingeladen. Die Warengruppenorganisation lege die Strategie fest. Die medizinischen Fachgruppen standardisierten und erzeugten bei den Anwendern Verbindlichkeit. Dabei sei der Einkäufer Projektmanager, der überzeugen müsse. Die regionalen Organisationen setzten die Strategie um. Eine funktionale Organisation überwache mittels Kennzahlen die Prozesse und Standards, regle das Zusammenspiel.
Schönrath erläuterte die personalisierten Funktionen von Facheinkäufern und Regionalleitern bei der Umsetzung der gefundenen Strategien. Der Facheinkäufer sei der erste Ansprechpartner des Regi­onalleiters Einkauf und der Indus­trie. Er sichere die Weiterentwicklung der Warengruppenstrategie, finde Preis- und Lieferantenstrategie, die richtige Form der Standardisierung und der Vertragslaufzeiten. Weiter begleite der Facheinkäufer den Prozess bei Produktproblemen und unterstütze die Umsetzung der Verhandlungsergebnisse mit den Kliniken. Wichtig sei, dass er den Markt hinsichtlich Neuheiten beobachtet.
Der Regionalleiter sei Ansprechpartner vor Ort und Schnittstelle zwischen lokalem und strategischem Einkauf. Er sei zuständig für die lokalen Anforderungen, ermittele die Bedarfe und sei zuständig für die Logistik. Schlussendlich setze er strategische Einkaufsentscheidungen in der Region um.
Ameos setze zur Sachkostenreduzierung ein sog. Projektmanagementoffice (PMO) ein. Die PMO-Gruppe habe folgende Aufgaben: Aufnahme aller Kostensenkungsprojekte, Schaffung von Standards zur Bewertung und Durchführung, Schaffung von Einkaufstransparenz, Aufbau einer einheitlichen Berichtsstruktur, Entwicklung und Bewertung von Kostensenkungsideen, Verbindung von strategischen und regionalen Einkaufsstrategien sowie Coaching, Mentoring der Einkaufs­mitarbeiter.
2016 seien die beschriebenen Organisa­tionen aufgebaut und die Methoden eingeführt worden. Definiert worden seien 48 Kostensenkungsprojekte mit 149 Aufgaben. Besonders freute sich Schönrath darüber, dass schon bis Jahresmitte 2016 64 Prozent der geplanten Einspa­rungen erreicht werden konnten. 20 Prozent der erreichten Einsparungen stellten sogar nicht geplante, zusätzliche Ein­spar­po­tenziale dar.

Hamsterrad durch Preis- und Vergütungsabsenkungen

Über Fernleitung aus Hannover wurde Dr. Christoph Kumpf, Geschäftsführer der Einkaufsorganisation für Universitätskliniken Comparatio Health, zugeschaltet. Sein Credo: „Nicht nur billig einkaufen, sondern Mehrwert bieten.“
Nach der Darstellung der Entwicklung der Einkaufsorganisationen mit ursprüng­lichem Fokus auf die Preise hin zur differenzierten Erlösbetrachtung rechnete Kumpf vor, dass die Kosten des medizinischen Bedarfs seit der Einführung des DRG-Systems im Jahre 2003 mit einer jährlichen Steigerungsrate von durchschnittlich 5,1 Prozent überproportional gewachsen seien (Unikliniken +6,1 %, nicht universitäre Kliniken +4,7 %) – trotz Einkaufsorganisationen und Rationalisierungen. Lediglich der ärztliche Dienst habe bezüglich der Kosten noch stärker zugenommen. Aufgrund der komplexeren Eingriffe liege der Kostenanteil des medizinischen Bedarfs in Universitätskliniken weit höher als in anderen Krankenhäusern.
Hinsichtlich der Rentabilität seien die Universitätskliniken in einem Hamsterrad. Kumpf verdeutlichte dies am Beispiel 3-Kammer-Defibrillatoren: Die Preise für die Defibrillatoren gingen zurück, gleichzeitig fielen aber auch die Entgelte. Aufgrund der sinkenden Preise ging dagegen der Verbrauch von Produkten nach oben. Diese Mechanismen seien nicht nur bei den Defibrillatoren, sondern z. B. auch bei Infusionsmitteln und Kathetern festzustellen. „Hauptaufgabe der Einkaufs­organisationen beim strategischen Einkauf werde deshalb künftig bei der Rentabilitätsanalytik liegen“, prognostizierte Kumpf.
Untergeordnet zur Zielerreichung seien Vergabeverfahren (Bündelung von Einkaufsvolumina), Lieferantenvereinbarun­gen (Vereinheitlichung der Konditionen) und Prozess-unterstützende IT-Projekte). Und eine Steuerung des medizinischen Sachbedarfs sollte von einem quantitativen zu einem qualitativen Nutzen füh-ren. Handlungsfelder seien die Entgeltrentabilität, die Steuerung des medizinischen Sachbedarfs im Bereich Forschung und Lehre, ein Fibu-Mawi-Abgleich sowie Preis-, Mengen- und Struktursteuerung. Voraussetzung seien eine IT-Infrastruktur und Systemlandschaft (SAP), die Comparatio, Lieferanten und Kliniken verbinden.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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