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7. Mai 2018
Redaktion

Zertifikate, Normen, Standards: Wann ist ein Medizinprodukt

von Julia Unverzagt (04/2018)  Um Produktqualität und Patientensicherheit zu gewährleisten, müssen Medizinprodukte besondere Anforderungen erfüllen, die im Medizinproduktegesetz und bestimmten EU-Richtlinien festgehalten sind.
Medizinprodukt,
Foto: privat

Doch welche Normen und Standards müssen eigentlich erfüllt werden und wie wird dies überprüfbar?
Für viele Patienten sind die Richtlinien, Normen und Zertifikate, die im Bereich Medizintechnik Sicherheit und Qualität gewährleisten sollen, ein Buch mit sieben Siegeln. Aber auch zum Beispiel junge Unternehmer sind oft zu­nächst ratlos, wenn sie sich zum ersten Mal mit diesem Sammelsurium von noch unbekannten Regulatorien konfrontiert sehen.

Fragen über Fragen

„In unserer Beratungspraxis sehen wir beispielsweise häufig Start-ups, die ein neuartiges Produkt entwickelt haben und nun Hilfe benötigen, ob und warum dieses Produkt unter das Medizinproduktegesetz fällt und vor allem welche Konsequenzen und erforderliche Verfahrensschritte daraus resultieren. Hier können wir schnell und unkompliziert wichtige Hinweise bezüglich der Einstufung geben und für weitere Schritte an die zuständigen Einrichtungen vermitteln. Solche Fragen bremsen dann nicht mehr unnötig die Arbeitsprozesse in Start-ups aus“, erklärt Dr. Wiebke Löbker vom Innovationsbüro des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte Bonn. Dabei handelt es sich um eine Beratungsstelle für Start-ups, die in die Medizinprodukte-Branche einsteigen wollen.

Die Einhaltung der Normen und Standards, die in verschiedenen Ländern gelten, sind für die Hersteller von Medizinprodukten Eintritts – karten in neue Märkte. Foto: Denys Rudyi/Fotolia

„Kleine Unternehmen und Forschungszentren verfügen häufig nur über geringe Erfahrungen und Kenntnisse, welche Voraussetzungen sie bei der Zulassung und beim Inverkehrbringen ihrer Produkte beachten müssen. Auf diese Weise entsteht aufseiten der Entwickler häufig der Eindruck unüberwindbarer regulatorischer Barrieren, die zu Fehlentscheidungen in der Entwicklung führen können. In der Folge verzögern sich vielversprechende Projekte oder werden gar ganz verhindert“, führt Löbker weiter aus.

Medizinprodukte müssen für den Vertrieb in Europa mit dem CE-Symbol ausgezeichnet sein. Foto: niroworld/Fotolia

Medizinprodukt – Begriff mit vielen Facetten

Schon das Aufstellen einer allgemeingültigen Definition des Begriffs „Medizinprodukt“ scheint ein schwieriges Unterfangen zu sein, hält man sich vor Augen, dass bereits medizinische Apps dazugezählt werden können.
Laut der europäischen Richtlinie 93/42/EWG handelt es sich bei allen einzeln oder miteinander verbundenen Instrumenten, Apparaten, Vorrichtungen, Stoffen oder anderen Gegenständen, einschließlich von Software, um Medizinprodukte, wenn sie bestimmten gesundheitlichen Zwecken dienen.
Dazu gehören zum Beispiel die Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung bzw. Kompensierung von Krankheiten oder Behinderungen. Außerdem fallen auch Produkte, die der Untersuchung oder dem Ersatz des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs dienen, unter diese Kategorie. Auch Produkte zur Empfängnisregelung werden dazu gezählt.
Es gibt auch Ausnahmen, die nicht von der Richtlinie 93/42/EWG definiert werden, wie zum Beispiel aktive implantierbare medizinische Geräte. Diese fallen in vielen Fällen unter andere verwandte Richtlinien.
Medizintechnische Produkte werden weiterhin in die beiden übergeordneten Kategorien „aktive“ und „nicht aktive“ Produkte unterteilt. Im nächsten Schritt werden sie vier Risikoklassen zugeordnet: I, IIa, IIb und III, die sich nach dem jeweiligen Anwendungsrisiko richten. Außerdem gibt es die Unterklassen Is (sterile Klasse-I-Produkte) und Im (Klasse I mit Messfunktion). Die Zuordnung bestimmter Produkte zu spezifischen Klassen ist nicht fest gesetzlich geregelt, sondern muss jeweils im Einzelfall vom Hersteller festgelegt werden.
Nach den „Grundlegenden Anforderungen“ der Richtlinien 93/42/EWG (Anhang I) und 90/385/EWG (Anhang 1) müssen Medizinprodukte nicht nur sicher, sondern auch medizinisch-technisch leis­tungsfähig sein. Dies bezieht sich vor allem auf die vom Hersteller vorgegebene Zweckbestimmung. Im Rahmen der Richtlinie 93/42 EWG ist außerdem vorgeschrieben, dass Medizinprodukte seit dem 14. Juni 1998 mit der sogenannten CE-Zertifizierung ausgezeichnet sein müssen, um offiziell in Betrieb genommen und verkauft werden zu dürfen.

Normenvielfalt

Die „Grundlegenden Anforderungen“ an die Sicherheit eines Produkts sind in sogenannten „harmonisierten Normen“ technisch konkretisiert, die von den euro­päischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC oder ETSI festgelegt werden. Sie müssen jeweils im Amtsblatt der EU einsehbar sein. Sie werden alle fünf Jahre revidiert und an den neuesten technischen Stand angepasst.
Die Anwendung der harmonisierten Normen ist für die CE-Zertifizierung nicht zwingend erforderlich, sondern dem Hersteller überlassen. Er darf auch auf andere Art, zum Beispiel durch andere technische Verfahren, nachweisen, dass sein Produkt den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Nicht alle Normen sind in den europäischen Richtli­nien lückenlos präzisiert. Daher können auch teilweise nationale Normen herangezogen werden. In Deutschland ist beispielsweise das Deutsche Institut für Normung, DIN, für das Aufstellen dieser Normen zuständig.
Die gesetzlichen Anforderungen für eine CE-Zertifizierung werden in der Regel oft im Rahmen eines Qualitätsmanagement-Systems nach den Normen DIN EN ISO 13485 und DIN EN ISO 9001 überprüft. Der Fokus liegt bei beiden Normen auch insbesondere auf der Produktsicherheit. Die DIN EN ISO 13485 folgt in ihrer Systematik der DIN EN ISO 9001, allerdings entsprechen die beiden einander nicht vollständig. Die EN ISO 13485 fordert im Gegensatz zu der EN ISO 9001 zum Beispiel nicht explizit eine ständige Verbesserung des QM-Systems.

Hersteller stehen vor Herkulesaufgabe

Die Implementierung und ständige Einhaltung dieser Normen stellt für die Hersteller von Medizinprodukten die größte Herausforderung dar, gerade wenn es sich um kleine Teams handelt.
Für Dr. Thomas Hübner, Geschäftsführer der Preventicus GmbH, war es besonders schwierig, „die Prozesse so zu implementieren, dass sie nicht nur der Überprüfung im Audit standhalten, sondern im Unternehmen ,gelebt’ werden, das heißt, dass auch sämtliche Entwickler nach diesen Prozessen arbeiten“, wie er im Interview mit Medica.de erklärt.
Sein zertifiziertes Unternehmen bietet die App „Preventicus Heartbeats“ an, bei der es sich um ein CE-gekennzeichnetes Medizinprodukt handelt, dessen Wirksamkeit in klinischen Studien erprobt wurde. Jungen Unternehmen, die ein Medizinprodukt auf den Markt bringen wollen, rät er, „so früh wie möglich mit der Planung für eine Zertifizierung [zu] beginnen und im Businessplan auch die notwendigen Ressourcen [zu] berücksichtigen“, denn der Prozess sei sehr zeit- und arbeitsaufwendig.
Weltweit gibt es weitere nationale Zerti­fizierungen für Medizinprodukte. In Kanada gibt es beispielsweise eine Zertifizierung nach CMDCAS (Canadian Medi­cal Devices Conformity Assessment Sys­tem), in Japan nach PAL (Pharmaceutical Affairs Law) und in China nach TCP (Technical Cooperation Programme).
Normen und Zertifikate in der Medizintechnik sind also nicht nur trockenes Regelwerk, sondern in der Praxis Garanten für weltweite Sicherheit und Qualität. Hat man als Jungunternehmer erstmal den Überblick gewonnen, steht der Entwicklung und dem Verkauf einer neuen medizinischen App doch eigentlich – zumindest in der Theorie – nichts mehr im Wege.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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