Folgen Sie uns
25. Februar 2021
Redaktion
Hilfsmittelbranche / Sanitätshaus

Mitarbeiterführung gefragter denn je

Corona verändert nicht nur die Gesellschaft. Corona drückt auch der Hilfsmittelbranche seinen Stempel auf. Der so erzeugte Druck spiegelt sich nicht nur in wirtschaftlich enger gewordenen Rahmenbedingungen wider. Der Druck verstärkt auch den Veränderungsprozess mit Blick auf die Unternehmens- und Mitarbeiterführung. Das Management ist gefragt und in der Pflicht. Unternehmensberater Axel Ehrhardt erklärt im Gespräch mit MTD, worauf es jetzt ankommt.
Menschengruppe
Foto: BillionPhotos.com/Fotolia

Herr Ehrhardt, wie haben Sie bisher für sich die Pandemie in den letzten Monaten in den Sanitätshäusern und deren Umfeld erlebt?

Das Virus hatte bisher die einzelnen Menschen nicht nur fest im Griff, sondern hat darüber hinaus auch eine allgemeine Verunsicherung und spezifische Angstzustände in den Unternehmen ausgelöst: die Angst vor der Ansteckung im eigenen Unternehmen und im privaten sozialen Umfeld, die Angst vor Kontrollverlust bzw. vor nicht einschätz­baren Situationen und Risiken.

Gerade zu Beginn der Pandemie befanden sich diverse Unternehmen und deren Mitarbeiter in einem Zustand der Schockstarre und Hilflosigkeit sowie eines dominierenden, panikartigen Aktionismus bzw. von Handlungsunfähigkeit. Viele Unternehmen fühlten sich dadurch in ihrer existenziellen Berechtigung regel­recht bedroht.

Worauf müssen sich der Sanitätsfachhandel und das Handwerk in Krisen- oder Ausnahmesituationen grund­sätz­lich einstellen?

Der Umgang und das Handeln mit den ökonomischen und unternehmerischen Konsequenzen z. B. einer Pandemie be­nötigen die kollektive Intelligenz und das Umdenken der gesamten Manpower in den einzelnen Unternehmen. Die Corona-Krise hat die sogenannte New-Work-Transformation, die allerdings bereits schon vor der Pandemie erkennbar war, situativ verstärkt.

Damit gemeint ist der Wandel hin zu einer flexiblen, agilen und attraktiven unternehmerischen Arbeitswelt, die sich im Fokus innovativer und flexibler Organisations- und Arbeitsformen wiederfindet. Elemente, wie z. B. digitale und virtuelle Web-Kommunikation oder Home­office, sind Ansätze, die ja bereits in den Unternehmen implementiert worden sind. Diese sollten auch weiterhin unbedingt gefördert und ausgebaut werden.

Durch die Verschlankung von Arbeitsabläufen, die Optimierung von Produktivitätsreserven, die Digitalisierung von alten oder neuen Geschäftsaktivitäten bzw. die Diversifizierung von Lieferantenketten haben sich bereits, bedingt durch die Corona-Krise, für die einzelnen Unternehmen beachtliche Kreativitäts- und Innovationspotenziale ergeben.

Sind diese neuen Organisations- und Arbeitsformen bereits in den einzelnen Unternehmensstrukturen erkennbar bzw. implementiert oder optimiert?

Leider nur fragmentarisch. Nicht erst das Pandemiejahr 2020 hat entscheidungsschwachen Unternehmen deutlich aufgezeigt, dass z. B. an der Digitalisierung kein Weg mehr vorbeiführt. Jahrelang waren die Umsetzungsbemühungen im digitalen Management nur unzureichend implementiert. Viele verweisen auch heute noch auf die Klassiker: zu wenig Zeit, fehlendes fachliches Know-how oder knap­pe Ressourcen.

Allerdings haben viele Unternehmen als Reaktion auf Geschäftsschließungen und Kontakteinschränkungen es geschafft, ihre analogen Prozesse digital abzubilden. Wir erleben aktuell, dass die Unternehmen, die durch die Krise ihre komplette Wertschöpfungskette und ihren Work-Flow-Prozess neu justiert haben, bisher besser durch Covid-19 gekommen sind als ihre analogen Mitbewerber.

Für diese kann es nur heißen: innovative New-Work-Formate etablieren, bestehende Geschäfts- und Organisationsprozesse durchgängiger digitalisieren und neue Geschäftsfelder entwickeln. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Neue Orientierung ist notwendig. Wie gelingt erfolgreiche Führung in dieser Krise bzw. Ausnahmesituation?

Krisen- und Risikomanagement ist im Rahmen der Pandemiebekämpfung mehr denn je angesagt. Eine entscheidende Herausforderung für das Management ist z. B. die Situation, dass operative Vorgehensweisen, Routine-Aktivitäten und situ­ative Realitäten – im Rahmen der bisherigen Unternehmens- und Managementkultur – in Krisen- und Pandemie-zeiten stark an Bedeutung verlieren.

Dabei sind selbst Führungskräfte vor ihrer eigenen Unsicherheit nicht geschützt. So sollen sie auf der einen Seite ihren Mitarbeitern einen konkreten Orientierungsrahmen und eine zu verifizierende Handlungsweise aufzeigen und entsprechend vorleben, auf der anderen Seite werden aber die eigenen bewährten Management- und Fachkompetenzen gegenüber dem verstärkten Mitarbeiteranspruch auf Krisenmanagement im Team weniger wahrgenommen.

Dabei können sich die Bedürfnisse und Einstellungen der einzelnen Mitarbeiter unvorhergesehen verändern. Die Bedürfnisse nach noch intensiverer Kommunikation und engerem Austausch steigen, die Anforderungen an das Unternehmen und damit an das Management werden spontaner und sind nicht immer sofort einschätzbar.

Was bedeutet dieses Szenario für die Führungskräfte hinsichtlich ihrer sozialen Kompetenz darüber hinaus?

Soziale Kompetenz in Gestalt von Motivation, Begeisterungsfähigkeit, Belastbarkeit und vor allen Dingen Authentizität der Führungskraft hat in diesem Fall keinen unerheblichen Einfluss darauf, ob es einer professionellen Führungskraft gelingt, ihre Mitarbeiter weiterhin – auch in Krisensituationen – an sich zu binden, um diese damit zu den gewünschten Verhaltensänderungen in der Krise zu motivieren. Denn zufriedene Mitarbeiter sind motivierter und verbessern die Außenwirkung des Unternehmens.

Was heißt das in der Konsequenz für die Unternehmen?

Damit steigt in den einzelnen Unternehmen das generelle Anforderungsprofil an einen professionellen Führungsstil bzw. an innovative Veränderungsprozesse im Rahmen von New Work. Ohne innovative IT-Architektur, ohne agiles und vernetztes Arbeiten in den Teams, ohne E-Health-Vernetzungen und E-Rezept-Management, ohne ein innovatives Diversitäts-Management und ohne ein grundsätzliches Führen auf Augenhöhe wird es schwer für die Unternehmen, ihren Weg in eine erfolgreiche Zukunft zu finden.

Wie können denn interne Organisationsstrukturen und Abläufe optimal angepasst werden, um z. B. für einen zeitlichen Lockdown gewappnet zu sein?

Die komplette unternehmerische Wertschöpfungskette steht auf dem Prüfstand und muss gegenüber den temporär vorliegenden Krisen- und Ausnahmesituationen immer wieder optimiert und neu angepasst werden.

Hier ist es wichtig, beispielsweise im Rahmen einer intern zu gründenden Corona-Taskforce, die mit relativ hoher Geschwindigkeit und entsprechender Umsetzungsstärke arbeiten sollte, situativ Eventualpläne beziehungsweise kon­krete Entschei­dungs­­matrizen und -Sze­narien ganzheitlich zu implementieren, um diese team­übergreifend zu realisieren.

Dabei sollten die Kernfunktionen Einkauf, Logis­tik, Produktion Finanzen, Liquidität, POS-Verkauf, Filialisierung und Vertrieb kontinuierlich analysiert und an die aktuellen Veränderungen und vorgegebenen Rahmenbedingungen angepasst werden.

Was sollte in diesem Zusammenhang analysiert bzw. besprochen werden?

Gefunden werden müssen Antworten auf folgende Fragen:

  • Welche Situationen sind grundsätzlich im Best Case oder Worst Case zu erwarten?
  • Wie und mit welchen Maßnahmen steuern wir erfolgreich dagegen?
  • Welche bestehenden Tools sind dazu notwendig und/oder welche weiteren Werkzeuge werden noch benötigt?
  • Welche Erwartungshaltungen und Priorisierungen stehen im Fokus, um das operative Tagesgeschäft maximal für das Unternehmen nach innen und nach außen abzusichern?
  • Welche neuen Schutz- und Hygienemaßnahmen sind im Einzelnen anzupassen?
  • Sind Patienten und Mitarbeiter im PSA-Bereich ausreichend abgesi-chert und versorgt?
  • Sind wir mit unserem Produkt- und Leistungsportfolio am POS jetzt dort, wo sich gerade in der Pandemiezeit die Kunden befinden und Informationen suchen?
  • Lassen sich neue Geschäftsfelder, wie medizinisch-fachliche Videoberatungen, Literaturhinweise oder Compliance-Hilfen, z. B. für Kompressionsstrumpfpatienten, oder eine gezielte Pflegeberatung auf unserem Online-Marktplatz umsetzen?
  • Welche Werbebudgets oder Events sollten erst einmal eingefroren oder reduziert werden?
  • Wie lässt sich ansonsten die allgemeine Betreuungseffizienz – unter Covid-
    19-Bedingungen – unserer Kunden weiter steigern?
  • Über welche Kanäle kommunizieren wir die beschlossenen Ergebnisse an unsere Belegschaft, an unsere Patienten im häuslichen Bereich, den Kunden am POS, an unsere Lieferanten bzw. an unsere sonstigen bestehenden externen Netzwerke?
  • Wie lässt sich die Logistik an die jeweiligen Pandemie-Gegebenheiten anpassen und optimieren?
    Mit welchen Coaching-Konzepten können wir im Rahmen von Covid-19 unsere Führungskräfte und deren Mitarbeiter noch optimaler und siche­rer unterstützen?

Allerdings sind diese genannten Punkte immer abhängig von den jeweiligen vorhandenen Rahmenbedingungen in den einzelnen Sanitätshäusern zu betrachten.

Wie sollte sich dabei das Management gegenüber den internen Mitarbeitern in diesen Situationen konkret verhalten?

Ganz klar Vorbildfunktion ausüben, da­bei Wertschätzung, Authentizität, Transparenz, Offenheit, Sinnhaftigkeit, Vertrauen, Verständnis, Partizipation, Resilienz zeigen und vor allen Dingen Gelassenheit bzw. Souveränität bewahren und dabei Empathie ausstrahlen.

Denn Mitarbeiter wollen gerade in nicht einschätzbaren Krisenzeiten von krisenfesten Führungskräften geführt werden. In einer Krise gilt es, keine Zeit zu verlieren. Deshalb sind auch zusätzlich nachhaltige Macher- und Entscheidungsqualitäten gefragt, verbunden mit einem effizienten Zeit- und Organisations-Management.
Homeoffice weniger relevant als Kurzarbeit Stichwort „Homeoffice“.

In der Corona-Krise erlebt das Homeoffice einen regel­rechten Boom. Bleibt das ein Phänomen in der Krise bzw. in der neuen Arbeitswelt oder wird sich das als fes­ter Bestandteil der Arbeitswelt durchsetzen? Das eine schließt das andere ja nicht un-bedingt aus. Ich denke aber, dass das Thema „Homeoffice“ im Sanitätshausbereich bisher nicht unbedingt den Stellenwert einnimmt wie z. B. das Thema Kurzarbeit.

Das Sanitätshaus sollte in Pandemiezeiten zu den systemrelevanten Unter­nehmen gehören, und da stehen Präsenz- und Beratungspflicht, Produktion, Versorgung und Logistik für mich im Fokus. Eine Homeoffice-Tätigkeit sollte man grundsätzlich in Relation zur Größe des Unternehmens, seines Organigramms, seiner Diversifizierung, der Mitarbeiter­anzahl und deren funktionellen Aufgaben betrachten.

Wenn Homeoffice, welche Voraussetzungen sind dafür notwendig, damit Homeoffice im Sanitätshaus gelingt?

Homeoffice bedeutet grundsätzlich mehr Arbeits- und Verantwortungsautonomie. Denn die tägliche operative Arbeit im Homeoffice weist im Rahmen des Organisations- und Zeitmanagements darüber hinaus eine Reihe von weiteren Zusatzbelastungen auf. So erfordert die Kommunikation mit den Führungskräften, dem Team und den Kunden zusätzliche Anforderungen und Absprachen.

Zudem können die unternehmerische Kommunikation und der persönliche Erfahrungsaustausch mit den Kollegen darunter leiden. Die Selbstorganisation des Arbeitsaufwandes sowie der Umgang im Rahmen des Zeit- und Zielkonfliktmanagements mit Arbeitserfüllung und den Anforderungen an den persönlichen Haushalt können psychische Ressourcen und zusätzlich Kraftanstrengungen kosten. Das alles gilt es detailliert vorzubereiten und zu analysieren: von arbeitsrechtlichen Fragen über die ergonomische Arbeits­platzgestaltung bis hin zur DSGVO.

Ebenso zu klären sind die tägliche Erreichbarkeit, die Anforderungen an effek­tive Web-Meetings, das Handling von E-Mails und sonstiger interner Korrespon­denz, die Rahmenbedingungen des allge­meinen externen Kundenkontaktes, die erhöhten Anforderungen an das Organisations- und Zeitmanagement und die persönliche Work-Balance-Situation.

Detaillierte institutionalisierte Rahmenbedingungen und konkrete ganzheitliche Zielvereinbarungen sind somit unerlässlich. Erst danach kann letztendlich verifiziert werden, wie eine optimale Homeoffice-Situation zu funktionieren hat, damit am Ende die Vorteile die Nach­teile überwiegen.

Abschließend noch eine persönliche Frage: Wie bewerten Sie grundsätzlich die zukünftige Entwicklung der Covid-19-Pandemie?

Corona hat die größte wirtschaftliche Krise unserer Generation verursacht und dabei auf fast schon brutale Weise die wahren Charaktere vieler Menschen aufgezeigt. Die Wirtschaft ist zwar nicht unbedingt alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts.

Die Ökonomie und das sozi­ale Gefüge der Gesellschaft werden nach Covid-19 in dieser Republik mit höchster Wahrscheinlichkeit eine andere sein. Wir müssen uns zukünftig weiterhin darauf einstellen, mit anderen Pande­mien und neuen Krisensituationen zu leben. Umso wichtiger wird es für die Zukunft, durch ein frühzeitiges bzw. prä­ventives und nachhaltiges Krisen- und Risikomanagement die entsprechenden Leitplanken dafür zu etablieren.

Ich denke, wir haben während der bisherigen Covid-19-Krise schon einige Erfahrungen und Lernprozesse realisieren können, wie wir weiterhin mit der Pandemie umgehen können. Nur: Das letzte Wort haben immer noch das Virus und die Infektionszahlen.

Das Virus kennt keine Grenzen und bestimmt vorerst weiterhin die Dynamik und Entwicklung seiner Ausbreitung. Da helfen auch keine Verschwörungstheo­rien. Der Impfstoff ist die Hoffnung für uns alle. Allerdings: Der Impfstoff wird nur dann in ein neues Zeitalter führen, wenn ausreichend in den nächsten Monaten geimpft wird. Je mehr Bürger sich impfen lassen, umso eher lässt sich das Virus in die Knie zwingen.

Denn wie lange sollen schwache Bürger und chronisch Kranke noch vor einer Infektion geschützt werden, wenn sich nur eine Minderheit für die Impfung entscheidet?

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
Person
Zurück
Speichern
Nach oben