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25. Februar 2021
Redaktion
Influencerin Caroline Sprott

Von der Betroffenen zur Fachfrau in Sachen Lipödem

Im Jahr 2010 mit gerade mal 19 Jahren bekam Caroline Sprott die Diagnose Lipödem. Ein einschneidendes Erlebnis in vielerlei Hinsicht. Ihre ersten Erfahrungen im Sanitätshaus, als sie zwischen Rollatoren und Prothesen unter Tränen ausgemessen wurde, bezeichnet sie selbst als „gruselig”. Heute ist die junge Frau nicht nur selbstbewusstes Model für Kompressionskleidung, sondern auch Influencerin und Fachfrau für Marketing in einem Gesundheits­unternehmen. Worauf es beim Umgang mit Lipödem-Betroffenen ankommt, schildert das Multitalent im Gespräch mit der MTD-Redaktion.
Caroline
Foto: Michaela Kern
Worauf es beim Umgang mit Lipödem ankommt, schildert Caroline Sprott im Gespräch mit der MTD-Redaktion

Frau Sprott, vielen unserer Leser sind Sie bekannt. Was sollten diejenigen, die Sie noch nicht kennen, unbedingt über Sie wissen?  

Manche kennen mich vor allem als Flach­strick-Model für Medi. Angefangen hat aber alles mit meiner Website www.lip­oedemmode.de, wo ich alles Wissenswerte über die modische Eigentherapie und das Leben mit Lip- oder Lymphödem sammle. So gebe ich mein Bestes, als Bloggerin, Referentin auf Veranstaltungen, als Markenbotschafterin und auch als Podcasterin, um für andere Betroffene den Zugang zu wichtigen Inhalten leichter und unterhaltsamer zu gestalten.

Sie sind selbst Lipödem-Patientin. Wie erhielten Sie die Diagnose und wie sah die Therapie aus?  

Vor zehn Jahren war die Lipödem-Welt noch eine andere. Ich kann also von Glück sagen, dass ich im hessischen Hinterland sofort vom Hausarzt in eine Gefäßklinik überwiesen wurde, als ich ihm von diesen heftigen Schmerzen in den Beinen berichtet habe. Damals hatte ich mein Höchstgewicht erreicht, war todunglücklich und völlig ahnungslos, dass es Lipödem überhaupt gibt.

Die Ärztin, die mich diagnostizierte, verschrieb mir direkt einen Lymphamaten für zu Hause und mein erstes Paar Kompressionsbestrumpfung. Für mich waren diese von vornherein kein optisches Drama und irgendwie fühlten sie sich wie die teuerste Shapewear an, die man bekommen konnte. Sich selbst nicht so ernst zu nehmen, kann chronische Krankheiten zwar nicht heilen, es bewahrt einen jedoch vor einer bösen, nega­tiven Gedankenspirale.

Vor genau jener stand ich, als der bekannte Schmerz plötzlich auch in den Armen spürbar wurde. Es folgte die erste Reha und drei Liposuktionen, von denen ich jedoch nicht beschwerdefrei wurde.

Wie und wann wurden Sie von der Betroffenen zur Influencerin?

Eigentlich ganz unfreiwillig. Nachdem ich die Diagnose an den Armen bekam, brach ich zusammen. Starkes Übergewicht abzubauen und sich strikt an ein eng getaktetes Selbstmanagement zu halten, erfordert sehr viel Kraft und Disziplin. Als ich festgestellt habe, dass das nicht reicht, musste eine unkonventionelle Lösung her: Ich begann, mich ganz bewusst modisch passend zur Kompression zu kleiden, und entwickelte damit meine kleine Eigentherapie, die ich bis heute durchziehe. Ich brauche das für meine Psyche.

2015 kam dann meine Freundin auf mich zu und bat mich, damit an die Öffent­lichkeit zu gehen, weil ich vielleicht anderen Mut machen könnte, diesen Weg auch zu probieren. Da ich schon redaktionelle Erfahrungen hatte, konnte ich das Ganze professionell aufziehen; und so nahm alles seinen Lauf.

Als Influencerin schaffen Sie Präsenz für das Thema Lipödem. Wie tun Sie das?  

Auf dem Blog „Lipödem Mode“ fing alles online an und dort findet auch heute noch das meiste statt. Mir ist es das wichtigste Anliegen, im Gegensatz zu Social Media, alle Inhalte googlebar zu machen.

Auch wenn ich keine üble Autorin bin, so kann ich doch offline im persönlichen Kontakt Betroffene ganz anders motivieren und große Funken Lebensfreude mit ihnen teilen. Deshalb gebe ich als Referentin auf Lip- und Lymphödem-Veranstaltungen alles und gebe meine Tipps zum Thema Selbstbewusstsein und Selbst­management an andere weiter.

Und da ich einfach nicht stillsitzen kann, betreibe ich mit meiner Co-Moderatorin Natalie Stark zusätzlich den ers­ten deutschen Lipödem-Podcast.

Und wie wurden Sie Model für Medi?  

Ich wollte eigentlich nur die Pflegeserie von Medi für den Blog testen. Schnell merkten wir jedoch, dass wir gut zusammenpassen, und aus dem ersten Test wurden zwei Tests und aus zwei Tests wurde ein erstes Kampagnen-Shooting. Nur dass ich damals gar nicht ahnte, wohin sich das Ganze entwickeln würde. Ich dachte, ich darf Backstage zugucken, und aus Versehen stellten wir dann fest, dass ich auch noch modeln kann.

Zum Glück kann ich nicht nur das, und so arbeiten wir sehr eng zusammen da­ran, Produkte zu optimieren, gute Inhalte für Betroffene zu erschaffen und die Kommunikation zwischen Herstellern, Fachkräften und Endverbraucher zu fördern.

Sie sind Teil eines großen Netzwerks zum Thema Lip-/Lymphödem. Wie hilft die Community den Betroffenen und wie kann sich der Fachhandel dort einbringen?

In Selbsthilfegruppen, seien sie offline oder online, findet der meiste Austausch statt. Seit einiger Zeit gibt es auch eine Facebook-Gruppe für „Sanifeen“, so nennen die Betroffenen die Sanitätshausfachangestellten liebevoll. So etwas ist unheimlich nützlich, da sich viele Fragen oft auch erst im Nachhinein im Alltag ergeben. In solchen Kreisen oder auf Instagram im Austausch und als Ansprechpartner aktiv zu werden, ist die beste Werbung für einen gelungenen Kundenservice.

Was unsere Leser vermutlich nicht wissen: Sie sind nicht nur Influencerin und Sanitätshaus-Kundin, sondern auch Fachfrau in Sachen Marketing. Was machen Sie beruflich?

Ich bin hauptberuflich im Marketing eines bayerischen Gesundheitsunterneh­mens als Grafikerin und Texterin tätig. Zuvor durfte ich zehn Jahre Agentur­erfahrung sammeln, was mir heute nur zugutekommt.

Eine Frage an die Fachfrau: Worauf sollten sich unsere Fachhändler einstellen, um in Zukunft nicht den Anschluss zu verlieren?  

Ich sehe eine große Zukunft in Concept-Stores, die aus einem Sanitätshausbesuch ein Shoppingerlebnis machen. Sie kennen das bestimmt, dass man nicht nur einen Pflichtkauf erledigen, sondern sich auch etwas Schönes gönnen möchte, um mit einem guten Gefühl den Laden zu verlassen. Genau das ist das Ziel. Verkaufen Sie nicht nur eine Brustversorgung, sondern die passende Reizwäsche, einen wunderschönen Bademantel und tolle Hausschuhe dazu.

Lesen Sie Ihre Kunden, beraten Sie sie zu ihren Möglichkeiten und machen Sie den Besuch in Ihrer Filiale so angenehm wie möglich. Sie verkaufen Ware, um den Alltag Ihrer Kunden gesundheitlich zu verbessern. Warum sollten Sie ihn nicht auch verschönern?

Und worauf sollten Sanitätshäuser bei Lip-/Lymphödem-Patientinnen besonders achten bzw. was sollten sie ver­meiden?  

Lip- und Lymphödem-Betroffene sind sehr gut vernetzt und Mundpropaganda ist ein wichtiges Medium. Welcher Arzt ist gut, welches Sanitätshaus versorgt optimal, wo war man mit der manuellen Lymphdrainage zufrieden?

Haben Sie immer im Hinterkopf, dass negative Erfahrungen schneller die Runde machen als positive. Daher sollen Fachhändler bitte nicht nur auf die fachliche Schulung ihrer Angestellten, sondern auch auf die Qualität des Kundengespräches höchsten Wert legen.

Auch die Farbberatung der Kompression ist nicht unerheblich, doch bitte reden Sie keinem Kunden aufgrund seiner Maße ein Muster oder eine Farbe aus. Das könnte der letzte Funken Lebensfreude sein, den man im Keim damit erstickt. Behutsam und wohlwollend können Sie jedoch alles richtigmachen.

Normalerweise versorgen Sanitätshäuser die Kunden mit Hilfsmitteln. Drehen wir den Spieß doch mal um: Welches konkrete Hilfsmittel bzw. welchen Tipp würden Sie dem Fachhandel an die Hand geben?

Mein letztes Sanitätshaus hat für mich etwas sehr Besonderes getan: Die Mitarbeiter sind mit mir einen Fragenkatalog durchgegangen. Ob ich schon in einer Reha war, ob ich operiert bin, wo es in vergangenen Versorgungen Probleme gab, welche therapeutischen Ziele ich schon erreicht habe, welche ich noch erreichen möchte.

Lernen Sie Ihren Kunden kennen und bauen Sie eine Bindung auf, denn wo­möglich sind Sie die erste Person, die sich wirklich mit ihm eingehend auseinandersetzt. Das ist Ihre Chance! Nicht nur für ein angenehmes Zusammenarbeiten, sondern auch, um die Beratung mit freiverkäuflichen Helferlein für Selbst­management abzurunden. Und schon wird die Welt ein kleines bisschen besser.

Frau Sprott, wir danken Ihnen!

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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