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26. April 2021
Redaktion
Schuchmann / MDR-Konformität

Mission erfüllt

Für Zulassung, Produktion und Vertrieb von Medizinprodukten, wozu auch Reha-Hilfsmittel zählen, gelten künftig europaweit einheitliche Regeln nach der Medical Device Regulation (MDR). Sie ersetzt bzw. ergänzt bisherige EU- und nationale Vorschriften. Auswirkungen hat die MDR u. a. auf die technische Dokumentation, die klinische Bewertung, den Wiedereinsatz von Hilfsmitteln sowie die Bereitstellung von Daten, z. B. für die Rückverfolgbarkeit oder Risikoanalyse und -bewertung zum Nachweis der Sicherheit.
Foto: Peggy_Marco/Pixabay

Diese Anforderungen müssen damit in ein bestehendes Qualitätsmanagementsystem einfließen, was auch Prozessanpassungen erfordert. MTD wollte exemplarisch vom Reha-Hilfsmittel-Hersteller Schuchmann aus Bissendorf bei Osnabrück wissen, wie das Unternehmen die MDR implementiert hat und damit vor Inkrafttreten der Medical Device Regulation alle Anforderungen erfüllt. Informationen hierzu gibt im Interview Jens Fuchs, Qualitätsmanager bei der Schuchmann GmbH & Co. KG.

Wegen der Corona-Krise beschloss die EU-Kommission, die neue Medizinprodukte-Verordnung (MDR) um ein Jahr auf den 26. Mai 2021 zu verschieben. Wozu dient die MDR eigentlich?
Die MDR bietet auf europäischer Ebene einen neuen Rechtsrahmen für die Herstellung und den Vertrieb von Medizinprodukten. Hierdurch sollen höhere Standards für die Qualität und Sicherheit festgelegt werden. Sie löst die bisher geltenden europäischen gesetzlichen Vorgaben der Medical Device Directive (MDD) ab.

Während die Vorgaben der MDD noch in Form des Medizinproduktegesetzes MPG in nationales Recht umgesetzt werden mussten, sind die Vorgaben der MDR in allen europäischen Ländern direkt verbindlich.

Dadurch gelten für alle Medizinprodukte und auch für die beteiligten Wirtschaftsakteure in Europa die gleichen Voraussetzungen. Länderspezifische Unterschiede fallen dadurch weg. Zudem wird ab Mai 2022 eine zentrale europäische Datenbank (Eudamed) zur Verfügung stehen, in der alle Wirtschafts­akteure, Hersteller und deren Produkte vor dem Inverkehrbringen registriert und entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Zusätzlich werden dort alle meldepflichtigen Vorkommnisse dokumentiert.

Foto: privat
Jens Fuchs, Qualitätsmanager bei der Schuchmann GmbH & Co. KG, ist u. a. zuständig für die Umsetzung der MDR sowie die Dokumentation der Daten.

Weniger Interpretationsspielraum Welche Auswirkungen hat die MDR auf Hersteller von Hilfsmitteln?
Die Grundlagen des rechtlichen Rahmens sind ja nicht neu. Diese sind auch schon in der bisherigen MDD bzw. dem MPG beschrieben. Die neue MDR beschreibt alles viel ausführlicher und lässt dadurch nicht mehr so viel Interpretationsspielraum.

Jedoch werden in der MDR auch neue zusätzliche bzw. erweiterte Vorgaben beschrieben, z. B. die „Identifizierung und Rückverfolgbarkeit“, die „klinische Bewertung“, die „Überwachung nach dem Inverkehrbringen“. Sie beschreibt zudem, was mit dem Produkt über die gesamte Lebensdauer geschieht, welche Eigenschaften die verwendeten Materialien haben müssen und so weiter.

Gerade bei der Auslegung und der Auswahl der verwendeten Materialien setzen wir bei Schuchmann schon seit Jahren auf hochwertige und verträgliche Materialien. Alle von uns eingesetzten Stoffe, speziell auch die, die mit der Haut der Anwender in Berührung kommen, müssen einen Biokompatibilitätsnachweis haben und flammhemmende Eigenschaften nachweisen. Aufgrund von sehr langen Lie­ferbeziehungen zu unseren wichtigen Materiallieferanten ändert sich in dieser Hinsicht für uns nichts.

Wie lange und mit welchem personellen Aufwand haben Sie bei Schuchmann an der Umsetzung der MDR gearbeitet?
Die MDR ist mit ihren 175 Seiten sehr lang und nicht immer verständlich geschrieben. Die Aufgabe war, die relevanten Anforderungen an uns Hersteller herauszufiltern und die Technische Dokumentation entsprechend anzupassen. Dazu sind einige Monate an Vorlauf nötig gewesen.

Foto: MDR
Der neue Firmensitz von Schuchmann wurde 2020 bezogen.

Was war besonders aufwendig bzw. herausfordernd?
Die größte Herausforderung ist es, die Anforderungen der MDR in den verschiedenen Dokumenten der Technischen Dokumentation einzubringen und umzusetzen. Dazu wurde jedes Dokument geprüft und angepasst.

Benötigen Sie ein Audit durch eine Benannte Stelle?
Als Hersteller von Produkten der Risikoklasse 1 werden wir nicht durch eine Benannte Stelle überwacht und auditiert. Da jedoch – laut Anforderung der MDR – Hersteller von Medizinprodukten ein wirksames Qualitätsmanagementsystem vorweisen müssen, wird im Zuge der Zertifizierungsaudits nach DIN EN ISO 13485 auch auf die Umsetzung der MDR geachtet.

Wie sieht es mit der klinischen Bewertung aus?
Unsere klinischen Bewertungen sind alle auf aktuellem Stand. Unser Quali­tätsmanagementsystem sieht eine Aktu­alisierung der klinischen Be­wertungen bei verschiedenen Ereignissen vor, z. B. wenn an einem Produkt Änderungen vorgenommen werden oder es neue therapeutische Erkenntnisse gibt. Falls keine Ereignisse eintreten, werden die klinischen Bewer­tungen spätestens nach fünf Jahren auf Aktualität hin überprüft.

Häufig kommen Hilfsmittel in den Wie­dereinsatz – sind also nicht mehr in neuwertigem Zustand. Was schreibt die MDR in diesem Fall vor?
Produkte, die vom Hersteller für den Wiedereinsatz vorgesehen sind, müssen vor dem Anwenderwechsel aufbereitet werden. Unter „Aufbereitung“ versteht die MDR einerseits die Prüfung und Wiederherstellung der technischen und funktionellen Sicherheit.

Dies umfasst eine Wartung und ggf. die Reparatur oder den Austausch defekter Komponenten. Auf der anderen Seite muss auch die hygienische Sicherheit gewährleistet sein. Dazu gehören eine grundlegende Reinigung und Desinfektion des Produkts. Auch der Austausch von Teilen wie Polster und Bezüge, die mit der Haut des Anwenders in Berührung kommen, ist sinnvoll.

Foto: MDR
Die Produkte von Schuchmann werden auch in Abstimmung mit den Eltern entwickelt – hier der Sitz Madita-fun mini.
Foto: MDR
Zur klinischen Bewertung gehört auch der Test in der Praxis – z. B. in Einrichtungen für behinderte Kinder, hier die Posterior-Laufhilfe Malte.

Die Aufbereitung, Wartung und Desinfektion kostet Geld, z. B. Lohnkosten, Reinigungsmittel, Ersatz­teile etc. Wer trägt die Kosten und wer übernimmt die Wartung?
Wir als Hersteller sind verpflichtet, den Umfang einer Wartung und die Art der Reinigung und Desinfektion für jedes einzelne Produkt festzulegen. Der tat­sächliche Aufwand hängt stark vom Zustand und der Art des Produkts ab, das für einen Wiedereinsatz vorgesehen ist, und kann stark variieren. Grundsätzlich ist der Betreiber für eine Aufbereitung verantwortlich. Mit der Aufbereitung wird dann der Fachhandel beauftragt, der die Kosten direkt mit dem Betreiber abrechnet.

Werden dazu auch Daten erfasst?
Die MDR schreibt eine lückenlose Rückverfolgbarkeit von Medizinpro­dukten vor. Der Betreiber legt fest, welches seiner Produkte in den Wiedereinsatz geht und muss dieses auch dokumentieren. Der Fachhandel führt die Aufbereitung durch und dokumentiert den Umfang der notwendigen Arbeiten und ist auch für die weitere Rückverfolgbarkeit des Produkts im Wiedereinsatz verantwortlich.

Thema Rückverfolgbarkeit: Welche Daten stehen da zur Verfügung?
Die neuen MDR-konformen Typen­schilder enthalten zusätzliche Infor­ma­tionen, wie die UDI-DI, also einen alphanumerischen Code zur Kenn­zeichnung des Produktmodells, und die UDI-PI, einen alphanumerischen Code für die Produktionseinheit wie z. B. eine Seriennummer. Zudem sind der Produktname, die Größe, das Herstellungsdatum und die maximale Belastung vermerkt. Hinzu kommt eine Kennzeichnung, dass es sich explizit um ein Medizinprodukt handelt. Über die in der europäischen Datenbank Eudamed hinterlegten Daten (z. B. UDI) soll eine lückenlose Rückverfolgbarkeit gewährleistet werden. Die Rückverfolgbarkeit endet nicht beim Hersteller, sondern betrifft alle beteiligten Wirtschaftsakteure. Gerade bei Vorkommnissen müssen allen beteiligten Wirtschaftsakteuren Informationen zum Produkt schnell und vollständig vorliegen.

Muss die MDR-Konformität auch in den Gebrauchsanleitungen/CE-Kon­for­mi­täts­erklärungen ersichtlich sein?
Ja. Wenn alle Anforderungen an das Konformitätsbewertungsverfahren erfüllt sind, kann für ein Produkt eine EU-Konformitätserklärung ausgestellt werden. Der Hersteller ist dann dazu berechtigt, an seinem Produkt ein CE-Kennzeichen anzubringen. Bei uns ist die Konformitätserklärung Bestandteil der Gebrauchsanleitung, die ein wichtiger Teil des Produkts ist. Zu­dem müssen selbstverständlich auch die Anforderungen der MDR an die Gebrauchsanleitungen umgesetzt sein. Der Fachhandel hat vor der Auslieferung eines Produkts die Aufgabe, die mitgelieferten Dokumente des Herstellers zu prüfen.

Wie geht die MDR mit zusätzlichen Anpassungen von Serienprodukten um?
Da die Anwender unterschiedlichste An­forderungen an die Produkte haben, reichen die serienmäßigen Konfi­gu­rationsmöglichkeiten in speziellen Fällen nicht aus. Für diese Fälle sieht die MDR „Sonderanfertigungen“ von serien­mäßig hergestellten Produkten vor. Diese Sonderanfertigungen können direkt durch den Hersteller vorgenommen und entsprechend gekennzeichnet werden oder nach­träglich durch den Fachhandel durchgeführt werden. Wenn der Fachhandel Veränderungen an Produkten vornimmt, übernimmt er damit auch die Rolle des Herstellers des modifizierten Produkts. Der Hersteller bleibt jedoch für die ausgelieferte Produkt-Basis verantwortlich, die nicht verändert wurde.

Herr Fuchs, vielen Dank für die Informationen.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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