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3. Mai 2019
Redaktion
HHVG - Hilfsmittelverträge

Die Ausschreibungs-Party ist vorbei

Seit Inkrafttreten des HHVG im April 2017 sorgte das Thema Ausschreibungen in der Hilfsmittelbranche erst recht für Unruhe und Ärger. Am Ende lagen die Krankenkassen mit fast jedem im Clinch. Kurz vor Weihnachten 2018 gelang Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dann der mediale Coup. Er kündigte an, dass der Gesetzgeber die Ausschreibungsoption des § 127 Abs. 1 SGB V zeitnah kippen werde. Im Gefolge des Gesetzgebungsverfahrens zum TSVG (Terminservice- und Versorgungsgesetz) ist dies nun überraschend schnell gelungen. Am 14. März hat der Deutsche Bundestag mit der Verabschiedung des TSVG auch das Ende der Hilfsmittelausschreibungen besiegelt. Das Gesetz soll voraussichtlich Anfang Mai in Kraft treten.
Foto: Africa Studio/Fotolia

Ausschreibungen gestrichen

Die bisher ausschreibungsrelevanten Bestimmungen in § 127 Abs. 1, 1a und 1b SGB V werden ersatzlos gestrichen.
Die bisherigen Absätze 2, 2a, 3, 4, 4a, 5, 5a, 5b, 6 werden die Absätze 1 bis 9.

Der Gesetzgeber verweist zur Begründung erneut auf den Sachverhalt, dass „die praktische Umsetzung des HHVG vielfach nicht den Zielen des Gesetzgebers entspricht“. Zu dem erhofften Qualitätswettbewerb im Rahmen von Ausschreibungen sei es nicht gekommen. Angesichts der nach wie vor bestehenden Risiken durch Ausschreibungen für die Versorgungsqualität werde die Ausschreibungsoption in § 127 Absatz 1 aufgehoben.

Der Gesetzgeber sei unionsrechtlich nicht dazu verpflichtet, Beschaffungs­vorgänge wettbewerblich auszugestalten (Art. 168 Abs. 7 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV), und könne daher ein sozialrechtliches Beschaffungsverfahren vorsehen, das nicht den formellen Vorgaben des Vergaberechts unterliegt. Da die Ausschreibungsoption gestrichen wird, bedarf es auch keiner gemein­samen Empfehlungen zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen mehr.

Gnadenfrist für laufende Ausschreibungen

Der neue Absatz 1 § 127 SGB V, der sich primär mit den künftigen Vertragsverhandlungsoptionen befasst, schreibt fest, dass aktuell laufende Ausschreibungsverträge sechs Monate nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes unwirksam werden.

Mit der festgeschriebenen maximalen weiteren Laufzeit von Verträgen, die auf Ausschreibungen nach dem nunmehr aufgehobenen Absatz 1 basieren, soll im Zusammenhang mit Ausschreibungsverträgen aufgetretenen Qualitätsdefiziten und Rechtsunsicherheiten entgegengewirkt werden. Durch die Übergangsfrist haben die Krankenkassen aus Sicht des Gesetzgebers ausreichend Zeit, die Versorgung ihrer Versicherten auf eine neue vertragliche Grundlage zu stellen.

Die Vertragspartner, die bis dahin auf der Grundlage von Ausschreibungen die Versicherten einer Krankenkasse mit Hilfsmitteln beliefert haben, könnten dies wei­terhin auf der Grundlage von Rahmen­verträgen mit Beitrittsmöglichkeit tun.

Weiter Ausschreibungen bei enteraler Ernährung

Trotz aller Ausschreibungsverbote soll es mit Blick auf die Versorgung mit Medizin­produkten und mit bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung bei der bisherigen Rechtslage gem. § 31 SGB V bleiben. Das heißt, entsprechende Lieferverträge der Krankenkassen, ihrer Landesverbän­de oder Arbeitsgemeinschaften können weiterhin im Wege von Ausschreibungen vergeben werden.

Begründung von Gesetzgeberseite: „Die negativen Auswirkungen von Ausschreibungen im Bereich der Hilfsmittel, die Anlass der Änderung der §§ 126 und 127 durch dieses Gesetz sind, haben sich bei Medizinprodukten und bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung nicht gezeigt.“

Vorfahrt für Vertragsverhandlungen

Der neue Abs. 1 § 127 SGB V schreibt fest: „(1) Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften schließen im Wege von Vertragsverhandlungen Verträge mit Leistungserbringern oder Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln, deren Wiedereinsatz, die Qualität der Hilfsmittel und zusätzlich zu erbringender Leistungen, die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer, die Preise und die Abrechnung.“

Und der neue Satz 2 präzisiert weiter: „Dabei haben Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaf­ten jedem Leistungserbringer oder Verband oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer Vertragsverhandlungen zu ermöglichen.“ Der Ausschuss für Gesundheit führt mit Blick auf diese Formulierungen eini­ge Punkte ins Feld, die klar erkennen lassen, dass der Gesetzgeber eine dezidierte Stärkung der Verhandlungsposition der Leistungserbringerseite verfolgt.

Rote Karte für Open House

Die Sätze 1 und 2 in Absatz 1 sollen aus Sicht des Gesetzgebers klarstellen, dass die Verträge zwischen den Vertragsparteien zu verhandeln sind. Die Ergänzungen in Absatz 1 dienen außerdem der Klarstellung, so die Begründung, „dass es sich bei der Vertragsoption nach Absatz 1 nicht um das sogenannte Open-House-Modell handelt, bei dem die Vertragsbedingungen einseitig durch die Krankenkasse festgesetzt werden“.

In der Vergangenheit sei diese Norm bisweilen als Rechtsgrundlage für Open-House-Verträge herangezogen worden. Die Rechtsprechung habe aber bereits festgestellt, dass bei Rahmenverträgen mit Beitrittsmöglichkeit Vertragsverhand­lungen ermöglicht werden müssen (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. März 2010, Az: B 3 KR 26/08 R). Diese Rechtsprechung werde nun ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen.

Demnach haben Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemein­schaf­ten jedem Leistungserbringer oder Verband oder sonstigen Zusammen­schlüs­sen der Leistungserbringer Vertragsverhandlungen zu ermöglichen.

Jederzeitiges und vollumfängliches Beitritts- und Verhandlungsrecht

Der Ausschuss für Gesundheit stellt auch noch einmal klar, dass es sich bei der Möglichkeit, einem Vertrag nach Absatz 1 Satz 1 beizutreten, „um ein Beitrittsrecht und nicht um eine Beitrittspflicht handelt“. Die Krankenkassen könnten daher Vertragsverhandlungen nicht mit Verweis auf andere beitrittsfähige Leistungserbringerverträge ablehnen.

Als Verhandlungsgrundlage könne hier­bei ein bereits bestehender Leistungs­erbringervertrag dienen. Werde ein bestehender Vertrag im Rahmen von Vertragsverhandlungen mit einem weiteren Leis­tungserbringer angepasst, liege ein neuer Vertragsschluss vor, auch wenn es sich nur um geringe Anpassungen handele. Weitere Leistungserbringer könnten dem angepassten Vertrag oder dem ursprünglichen Vertrag beitreten.

Verhandlungsverträge fallen nicht unter das Vergaberecht

Betont wird von Gesetzgeberseite auch noch einmal, dass es sich bei Verträgen nach § 127 Abs. 1 SGB V nicht um einen öffentlichen Auftrag handele, da die Kran­kenkassen keine Auswahlentscheidungen träfen. So könnten die Krankenkassen keinen Leistungserbringer von der Versorgung mit Hilfsmitteln ausschlie­ßen, da alle Leistungserbringer bereits geschlossenen Verträgen nach Absatz 1 beitreten könnten.

Die Krankenkassen hätten auch keine Auswahlentscheidungen hinsichtlich bestimmter Leistungserbringer zu treffen, mit denen sie Vertragsverhandlungen füh­ren, da sie jedem Leistungserbringer Vertragsverhandlungen ermöglichen müss­­ten. Im Gegensatz zu einem öffentlichen Auftrag sei die Anzahl der Vertragspartner nicht auf einen oder wenige exklusive Partner beschränkt.

Demzufolge unterfielen die Verträge nach Abs. 1 nicht dem Vergaberecht. § 69 Absatz 3 bleibe in der Konsequenz unangewendet, da der Vierte Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nur anzuwenden sei, wenn es sich um die Vergabe eines öffentlichen Auftrages handelt.

Gleichwohl müssten bei Verträgen nach Absatz 1 SGB V jedoch die EU-rechtlichen Prinzipien der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und das Transparenzgebot beachtet werden.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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